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... die Kehrseite der Spirituosen-Prämierungen
Der Drang, sich zu beweisen, sich mit anderen zu messen, liegt in der Natur des Menschen. Sei es beim Werben um eine/n Geliebte/n, sei es aus sportlichem Ehrgeiz oder aus anderer Motivation. Seit der Antike haben Athleten die Chance, bei den Olympischen Spielen um Medaillen und Ehre zu kämpfen.
Aber auch Weltmeisterschaften, Weltcups, Oscars, Awards und anderes sind „Spielwiesen“ für Wettstreiter aller Art. Beinahe jede berufliche „Fraktion“ hat mittlerweile ihre Wettbewerbe, um sich von der Konkurrenz bzw. den Mitwerbern absetzen zu können und für spezielle Produkte Marktvorteile einzuheimsen.
Am „Kommandostuhl“ sitzen Privatpersonen, Institutionen, Organisationen, Interessenvertretungen, Verlage oder einzelne Medien. Jeder Veranstalter hat eine besondere Motivation, das breite Spektrum reicht von politischen Aspekten über wirtschaftliche Interessen bis zur Stärkung des Zusammenhalts als Ansporn einer Berufsgruppe.
Quintessenz – dem sportlichen Ehrgeiz der Teilnehmer entsprechend – ist eine perfekte, qualitätsorientierte, unabhängige Plattform, die eine möglichst breite Öffentlichkeit erreichen soll. Titel oder Medaillen müssen nicht nur glänzen, sondern der Teilnehmer soll von der Fachwelt und vom Publikum höchste Anerkennung gezollt werden.
Im Segment der Spirituosenhersteller gibt es einige regionale, nationale und internationale Wettbewerbe bzw. Prämierungen in unterschiedlichsten Ländern, in der Fachwelt bekannt unter Kürzeln und Namen wie DLG, IWSC, ISW, ITQI, SFWSC, WSA, Forum oder Desti. Doch was steckt dahinter? Oder noch besser, was steckt drin, wenn man richtig hoch rektifiziert?
Das Regelwerk einer Prämierung
Wie im Straßenverkehr, so werden die Regeln einer Verkostung im Reglement definiert. Die Legislative ist die Basis, die Exekutive für die Durchführung und Überprüfung zuständig. Damit möglichst wenig „Verkehrsrowdies“ durch das Regelwerk rutschen können, muss dieses möglichst klar definiert sein und kompromisslos exekutiert werden. Es kann nicht sein, dass aromatisierte Obstspirituosen als „Kuckuckseier“ in der Kategorie der 100-%-Destillate verkostet und veröffentlicht werden (für den fachlichen Nachweis ist das Know-how von Chemikern gefragt). Es muss ein klares Regelwerk für die Einreicher und ein ebenso spezielles für die Juroren geben: Je besser die Definitionen, desto weniger Reibungsverluste. Es fällt auch auf, dass teilweise von Veranstaltern keine Bewertungs-Systeme veröffentlicht werden – da könnte man manches unterstellen, aber als Brenner nie anstellen! Konsumenten und Kenner der Szene vermissen oft große Namen auf den Teilnehmerlisten von Prämierungen. Die Erklärung ist einfach: Sie können oft die Bedingungen des Reglements nicht erfüllen, wegen eines Chargenverbotes usw. oder sehen die Kosten für zu hoch. Die Liste der Gründe und Ausreden ist recht lang.
Was auffällt: Bei so manchen Prämierungen bekommt man auf Rückfragen bezüglich des Regelwerks, einer Jury-Liste oder Qualität bzw. Ausbildung der Jury und Jury-Leitung nicht einmal ein kühles Lächeln – Schweigen im Walde!
Die Ausbildung der Jury
Die Qualität einer Verkostung definiert sich in erster Linie über die Qualität und Professionalität der Jury. Die Teilnehmer müssen bereit sein, eine auf die Verkostungsinteressen abgestimmte, jährlich wiederholte Ausbildung zu absolvieren. Höhepunkt jedes Trainingstages ist ein anspruchsvoller Check, der Inhalte festigt und natürlich überprüft. Einige Prämierungen haben solche Prüfungen – die Palette reicht von halbherzigen Alibihandlungen, über einfache Checks mit einer Multiple-Choice-Methode bis hin zu beinharten Checks, die Verkostern alles abverlangen und so auf „Herz und Nieren“ getestet werden.
Viele „G’studierte“, die der Prüfungen müde geworden sind, und „Möchtegern-Verkoster“ sind allerdings nicht bereit, sich einer solchen Strapaze auszusetzen. Die beruflichen Veteranen haben aber in so mancher Verkostung das Sagen. Nimmt man den Berufsstand der Piloten als Beispiel, so stehen jährliche Eignungsüberprüfungen auf der Tagesordnung.
Eine Jury kann Produkte nur im Gleichklang bewerten, wenn das Verständnis zur Beurteilung einer Spirituose auf Grund vieler Meinungen (objektive, sowie die Summe aller subjektiven) in unzähligen Trainings klar erarbeitet und definiert wurde! Nur das sichert die Qualität der Beurteilung. Ein kunterbuntes Verkosterbild hat viele Fehlurteile zur Folge – alles eher, als ein objektiver Qualitätsspiegel für die Einreicher.
Es fällt auf, dass es für Verkoster kein definiertes Berufsbild gibt. Eigentlich kann sich oder nennt sich jeder Verkoster, der einige Trainings absolviert oder an Prämierungen teilgenommen hat und der Verdacht auf besondere sensorische Eignung besteht! Da es kein Berufsbild gibt, gibt es auch keine einheitlichen Standards in der Ausbildung und deren Qualität bei der sensorischen Arbeit.
Die Rahmenbedingen der Prämierung
Die Proben müssen in Gläsern eingeschenkt serviert und verdeckt verkostet werden. Die einzelnen Proben dürfen nicht verglichen und gereiht werden, sondern jedes Produkt muss für sich allein beurteilt werden. Verhüllte Flaschen auf den Tischen gewährleisten keine Objektivität, denn Konturen, Kapseln etc. lassen Rückschlüsse auf den Inhalt zu. Wenn jemand die Flaschen kennt, ist er ohnehin schon beinahe ein Fachmann.
Viel schlimmer ist die Situation, wenn ein „Verkoster“ mit einem Luxusschlitten herangekarrt wird und vielleicht erst im Briefing erfährt, ob es sich um eine Schnaps- oder Weinverkostung handelt (obwohl er überzeugter Abstinnezler ist) ...
Die Instrumente der Beurteilung
Beinahe jede Verkostung hat ihr eigenes Bewertungssystem – viele sind 20-Punkte-Systeme, international üblich sind Schemata mit 100 Maximal-Punkten. Im Grunde spielt das keine Rolle, wichtig ist nur, dass man den Duft, den Geschmack über die Typizität/Intensität, die Sauberkeit (Produktfehler) und eventuell noch die Harmonie beurteilen kann. Fehlt die Harmonie als Kriterium, ist das kein Problem. Gibt es allerdings keine getrennte Fehlerbeurteilung bei Duft und Geschmack, steht man sozusagen auf einem Bein. Was macht man als Juror, wenn ein Produkt einen Fehler im Duft hat und im Geschmack nicht? Systeme, die nur ein Fehlerkriterium haben, lassen eine seriöse Beurteilung nicht zu.
Die Bewertungssysteme zur Urteilsfindung
Profunde Urteile können immer nur als Momentaufnahme gemacht werden, müssen auch halten und dürfen nicht mehr geändert werden. Prinzipiell gilt: Je mehr Wertungen, desto genauer das Urteil! Das ist natürlich ein Kostenfaktor, den verschiedene Organisationen gerne und oft ausklammern.
Die Qualität reicht von zehn Urteilen von sieben Personen (eine „Line“ mit einem Assistenten und sechs Verkostern in drei Teams, die sowohl Einzel- als auch Gruppenurteile bilden) über eine Beurteilung durch zwei bis drei Personen, die sich in wenigen Tagen in verkostungstechnischer Meisterleistung mit einigen hundert Produkten „herumschlagen“, bis hin zu Schnellkoster-Truppen, die in zwei Tagen weit über 1.500 Proben verkosten. Wertungen so mancher Jury werden auch diskutiert und nachjustiert, in erster Linie nach oben korrigiert. Man will starken Marken und Lieblingskindern eben nicht weh tun!
Ein wichtiger Faktor bei jeder Verkostung, die Produkte mit Punkten bewertet oder Medaillen vergibt, ist die ständige Überwachung der Prüfer bzw. der Urteile – viel Aufwand, aber Voraussetzung für Qualität.
Die Klassifizierung von Destillerien
Zur Ermittlung von Destillerie-Klassifizierungen müssen immer alle eingereichten Produkte herangezogen werden. Die Maxime ist der rechnerische Schnitt durch alle eingereichten „Spirits“. Leider gibt es auch Verkostungen, die schon recht nah ans Lotteriespiel herankommen – man könnte es schlicht als „6 aus 45“ bezeichnen. Beispielsweise werden für eine Schnapsbrennerei des Jahres nur vier Wertungen von den punktestärksten Schnäpsen heranzogen, allerdings reichen Brenner schon 40 bis 50 Produkte ein. Da stellt sich die Frage, wie viele fehlerhafte Produkte im Bewertungs-Portfolio der besten Destillerien stecken.
Kann eine Destillerie, die fehlerhafte Produkte herstellt, diesen Titel noch zu Recht tragen? Oder geht es da ganz einfach nur um Geschäftemacherei? Diese große Zahl von Produkten bringt den teilnehmenden Destillerien die Chance auf den Titel - und den Veranstaltern eine Menge Geld. Die „Nebenkosten“ sind für die Einreicher auch nicht ganz „Ohne“ – jeweils zwei Flaschen eines Top-Produktes kosten schon in den Selbstkosten eine schöne Stange Geld.
Die freie Marktwirtschaft
In diesem Machtkampf ist der Brenner bzw. der Einreicher eindeutig der Stärkere – er entscheidet, ob eine Prämierung lebt bzw. überlebt. Würde die Brennerszene an einem Strick ziehen, gäbe es nur eine einzige hochwertige Prämierung – der Rest hätte keine Berechtigung. Doch die Brenner nehmen meistens dort teil, wo sie den für sich größten Erfolg erhoffen (und sich die Reglements leichter erfüllen lassen).
Es zählt der Erfolg und nicht die Qualität, wie ein Ergebnis zustande kommt. Daher findet man Brenner in unterschiedlichen Lagern. Teilweise sind sie wie Mimosen: Ist man mit dem objektiven Urteil über ein Produkt nicht einverstanden, wechselt man schon mal von der Champions League hinüber in die Landesliga. Oft reicht es, unter den Blinden als Einäugiger König zu sein.
Jede Berufsgruppe hat ihre Olympischen Spiele oder Weltmeisterschaften – bei den Destillateuren gibt es weder die Strukturen dafür noch einen offiziellen, von allen anerkannten weltmeisterlichen Spirituosen-Wettbewerb. Daher nennt sich jeder Sieger einer nationalen oder sogar nur regionalen Prämierung „Weltmeister“ und verkauft sich als solches. Je mehr Teilnehmer eine Prämierung hat, desto weltmeisterlicher ist sie. In der Formel 1 fahren ja auch hunderte Autos im Kreis ….
Der große Auftritt
Wenn es um den Erfolg bei Prämierungen geht, werden die Destillerien zu Kaderschmieden. Produkte werden herausgeputzt und aufgepeppt, um bei Prämierungen zu glänzen. Um die Chancen zu erhöhen, werden dann schon mal drei Himbeeren eingereicht. Hier stellt sich die Frage, wie viele unterschiedliche Produkte im Stall stehen und welche Charge bzw. Fraktion man als Kunde bekommt. Bedenklich wird es, wenn man von einer hoch dekorierten Himbeere eine fehlerhafte Flasche kauft.
Im Klartext: Solche Geschichten kommen dem Betrug am Kunden gleich. Seriöse Brenner dürften von einem Produkt immer nur eine Qualität haben - und nicht gleich eine ganze Zucht. Das ist allerdings kein Spirituosen-spezifisches Phänomen, sondert findet sich auch bei Weinprämierungen usw.
Der Konsument - oder der getäuschte „arme Hund“
Wenn sich jemand nicht auskennt, kann man ihm so manches vorgaukeln. Werden von Medien Prominenten-Verkostungen organisiert und die Ergebnisse auf den eigenen Seiten breitgetreten, glaubt man der „Wahrhaftigkeit“. Doch wie seriös sind diese Ergebnisse zustande gekommen? Kann man diese überhaupt für „voll“ nehmen? Auch Medaillen haben nicht immer den Glanz, den sie ausstrahlen sollten – oder sind sie nicht einmal die Produktionskosten wert?
Der fromme Wunsch zum Schluss
Prämierungen, die seriös durchgeführt werden, haben jede Berechtigung. Für die Brenner als Plattform, auf der sie sich fair messen können, und für die Konsumenten, die sich danach richten können. „Sportlicher“ Ehrgeiz trifft so auf wirtschaftliche Interessen, ohne dass Abstriche gemacht werden müssen.
© by Wolfram Ortner, BKK, 2009